Sei mir gegrüßt, o Leser dieser Zeilen,
der Du Dich anschickst, den Bericht zu lesen,
in dem ich künde von den Vorlesungen
und von den Übungen dieses Semesters.
Auch sei'n die Seminare nicht vergessen,
die stets begründen ganz besondre Freude
dem, der sie zu besuchen sich entschließet,
um Mathematik ernsthaft zu betreiben.
So will ich nun mit solchen auch beginnen.
Die Tradition des Sommers fortzuführen,
erzähl zuerst ich von Professor Schmincke,
in dessen Seminar gar wenig Leute,
doch diese umso engagierter, saßen.
Sechs waren's an der Zahl, darunter viere,
die, selbst vortragend, einen Schein begehrten,
wovon hinwiedrum zwei dies schon im letzten
Semester hinter sich gebracht, die andren,
zu denen ich auch endlich selbst gehöre,
frohlockten ob der Freude des Voraus.
Die letzten zwei, die waren Professoren.
Und was nun jene dort zum Vortrag brachten,
fiel diesen vor zum Fraße der Kritik.
Die Themen dieses Seminars entstammten,
wie schon im Sommer, dem Physikerreiche,
jedoch von Mathematikern zerrissen,
zerpflückt, zerkaut und wieder ausgespieen,
auf daß der Gegenstand des Vortrags
nach solcherlei Verdauung den Ansprüchen
genüge, die der deduktive Geist
des Vollblut-Mathematikers bezüglich
der Klarheit in der Darstellung des Stoffes
sowie der Schärfe des Modelles stellt.
Der erste Vortrag sprach von den Matrizen,
die uns geläufig, wenn sie so bemessen,
daß ihrer Reihn und Spalten Zahl zu nennen.
Was aber, wenn sich immer neue Reihen
und Spalten drängen, dazu zu gehören,
auf daß die Zahl ganz unermeßlich wachse
und schließlich jeder uns bekannte Name
für eine Zahl versagt, dies zu beschreiben,
so daß ``unendlich'' man dies Wunder heißt?
Ein Mann wie John von Neumann unternahm es,
dies Phänomen genauer zu beleuchten,
beschrieb Papier in Massen mit Gedanken,
die zu entwirrn der Referent versuchte.
Allein, es war doch zu unübersichtlich,
was dieser große Mann da abgesondert,
als daß, von Klarheit strotzend, die Sachlage
im Vortrage sich wie von selbst darböte.
Etwas ermüdend, zog die Theorie sich
wohl über zehen Wochen bis nach Weihnacht',
da endlich der zentrale Satz bewiesen.
Ein Hoch dem Vortragenden, der all dieses
mit unermüdlicher Geduld erzählte.
Als er geendet, war ich an der Reihe
zu reden über die Distributionen
und wie man sie, obwohl sie nicht Funktionen
nach der Physiker Art multipliziert.
Nur noch drei Wochen war mir Zeit gegeben,
was ich zu sagen hatte, zu berichten,
bevor Semesters Ende meiner Rede
den Abschluß jedenfalls verordnet hätte.
Doch war mir diese Zeitspanne genüge,
um auszubreiten eine Theorie,
die kaum acht Seiten eines Buchs belegte,
wiewohl dort mancher Schluß nicht ausgeführt.
Der Aufbereitung wesentlicher Teil
indes war nicht das bloße Durchführn dessen,
was der Autor im Text nur angedeutet,
sondern vielmehr die völlge Umstellung
der dort gebotenen Gedankenkette.
Denn wer das Material, das mir gegeben,
ganz unbedarft so las, wie es geschrieben,
der hatte sicher kein' Genuß daran.
Zwar war dort alles richtig und auch schlüssig
und führte zum versprochenen Ergebnis,
doch blieb der Leser vollständig im Dunkeln
darüber, wie und auch auf welche Weise
der Autor diese Theorie gefunden.
Verständlich ist es zwar, jedoch nicht rühmlich,
daß, wer im Reiche der Mathematik
etwas entdeckt hat, gern die Spur verwischet,
die der Gedanken Gang bis dort verriete.
Nicht seine Irrweg' soll der Forscher nennen,
auf daß in laut' Gelächter alles ausbrech'.
Nein, jedoch soll er der Welt demonstrieren,
wie man durch planvolles Analysieren
und Aufstellen aller Notwendigkeiten,
die der gesuchte Schatz besitzen muß,
die Stelle, die ihn birgt, soweit einkreiset,
bis man buchstäblich auf dem Flecke steht,
wo die Truhe sich nur befinden kann.
Dann bleibt nur noch, den Spaten rauszuholen,
und sogleich in die Tief' zu graben.
Entweder findet man dort das Gesuchte
oder man weiß, daß man es nirgends findet.
``Methode der notwendigen Bedingung'',
so heißt dies Vorgehn bei Professor Schmincke.
Und immerhin gelang es mir, trainiert
in dieser Übung durch meine Teilnahme
an zwei Vorlesungen dieses Professors,
in meinem Vortrag, dies zu praktizieren,
an einer Stelle immerhin, die andernfalles
wenn ich sie ganz unmotiviert erreiche,
des Zuhörers Intresse ganz erschlägt,
und ihn nur fragen läßt: ``Wie kommt man darauf?''
Denn zu bombastisch liest sich diese Stelle
für den, dem sie ganz ungefragt serviert wird.
Genug von diesem Thema, will ich meinen.
Noch einem weitern Seminar wohnte ich bei.
Es hatt' zum Thema auflösbare Gruppen,
doch merkte man am Anfang dies noch nicht.
Denn zwei Vorträge noch, die wir im Sommer
nicht mehr geschafft, waren noch nachzuholen.
Und diese handelten von freien Gruppen,
die alles andere als auflösbar.
Zuerst ging's um den Satz von Oates und Powell,
dessen Beweis uns bannte wochenlang.
Ein großer Aufwand, um etwas zu zeigen,
das, möcht' ich meinen, nur den Mann begeistert,
der diese Theorie einmal erdacht.
Der Satz versprach, das was Bestimmtes endlich,
jedoch schien dies Bestimmte so abstrakt,
das ich nicht übersah, wo anzufassen
die Dinge wären, deren Anzahl endlich.
Darum schien mir's kein Vorteil in der Praxis,
und theoretisch war's nicht g'nug ästhetisch.
Also war ich ganz froh, als bald der zweite
Vortrag begann, der meine Phantasie
viel mehr ansprach, denn was sich dort abspielte,
ging um kommutative Diagramme
und um Folgen von Pfeilen, die exakt.
Hierauf genossen wir noch drei ganz andere
Vorträge, die zum Thema endlich hatten,
was über'm Seminar geschrieben stand.
Sie darzutun, will ich mich hier nicht mühen,
und lieber reden von den Charakteren,
die wir in einer Vorlesung betrachteten,
die ``Theorie der Darstellungen'' hieß.
Trotz der Benennung aus der Psycholyse,
sind diese Charaktere nur Funktionen,
die der Mathematikstudent so liebt,
denn Abbildungen, das sind die Funktionen,
die werden in der Mathe diskutiert.
So diskutierten wir nun Charaktere
in Theorie und Praxis am Computer,
wo wir kleine Programme schreiben sollten,
in einem System, das noch stark im Schwange
bezüglich der Befehlsstrukturen war.
So kam man nicht umhin, bei jedem Male,
etwas zu überbrücken, das nicht fertig.
Trotzdem war'n diese Aufgaben erbaulich,
schließlich war das Programm so weit gediehen,
daß es vorzüglich rechnete mit allem,
was man ihm vorwarf, und es war nur schade,
daß in der Aufgabe kaum was zu rechnen war.
Dieses Programmsystem, das ich erwähnte,
ist auch Arbeitsobjekt für mein Diplom,
denn was ich dafür schaffen will, das soll
dieses System dann einmal auch bereichern.
Die Ferien, die zwischen den Semestern,
gelegen, bieten dafür reichlich Muße,
zu programmieren, ohne stets zu fürchten,
daß man darob die Vorlesung versäumt.
Auch Darstellungen waren Gegenstand
der nächsten Sache, wovon ich berichte.
Wenn unser Interesse oben Gruppen hatten,
so war'n es hierbei unfehlbar Algebren.
Und die Vorlesung war auch was für's Auge,
das schon im Seminar die Pfeile schaute,
die sich dort zu exakten Folgen fügten,
oder Quadraten, hier kam alles wieder.
Doch waren diese anschaulichen Bilder
der Wahrheit Hälfte nur, denn weitaus wilder
schien die dahinter aufgepflanzte Theorie
der Köcher und Funktoren, und somit
war alles wohl ein zweischneidiges Schwert:
Ohn' Theorie sind Bilder gar nichts wert.
Jedoch war der Zuhörer Kreis so klein,
daß Unklarheit mit einer Frag' man bannte,
und der Professor gab drauf eine Antwort.
So habe ich dann doch recht viel verstanden.
Lediglich eines konnt' ich nicht durchhalten:
Die zugehör'ge Übung zu besuchen.
Denn diese fand am Donnerstage statt
direkt nach der damit bezognen Vorlesung.
Und da vor dieser schon die jene lag,
die ich im letzten Absatze beschrieb,
hätt' mit der Übung ich in jeder Woche
drei Stunden Darstelltheorie am Stück
gehabt, wenn ich sie stets besucht hätt'.
Zudem hätt' diese Übung mich gehindert,
zum Russischkurse pünktlich zu erscheinen.
Und dies hätte ich nicht verschmerzen können,
denn jetzt in ``Russisch III'' war'n wir soweit,
daß wir schon kurze Texte lesen konnten,
und dieses war, vergleicht man's mit Grammatik,
viel fesselnder, da man schon bald bemerkte,
daß die Einheiten, in der man die Sprache
erfaßt und lernt, ein Stückchen größer wurden.
Während es zu Beginn Buchstaben waren,
die dem kyrillischen ABW man entrang,
darauf die Wörter, deren Sinn man paukte,
so waren's nun schon Phrasen, Sinnzusammenhänge,
und man wußte, auf Russisch auszudrücken,
was in den Texten oft genug nur vorkam.
Stochastik, dritter Teil, hieß eine Lesung,
die ich in diesem Winter noch genoß.
Die Teile eins und zwei hatte ich nur
sporadisch angehöret, aus Zeitgründen.
Jedoch den letzten Teil wollte ich richtig machen,
und fand dann auch einmal die Zeit dazu.
Die Übungen indes konnt' ich zwar machen,
doch vom Besuch der Übung hielt mich ab
eins der zwei Seminare, die ich hatte.
So wird wohl aus dem Übungsscheine nichts,
denn vorzurechnen, war dafür die Pflicht.
Im siebenten Semester scheint's unmöglich,
daß zum Erhalt irgendeins Übungsscheines
man noch eine Klausur bestehen müßte.
Jedoch war dem so, denn zwei Professoren,
die, uns zu unterrichten in der Theorie
der Spiele, extra her aus Maastricht kamen,
die krönten die gemeinsame Vorlesung
mit einer Scheinklausur an ihrem Ende.
Dabei bedurfte es gewisser Fertigkeiten,
die Texte der Aufgaben wohl zu deuten,
es waren sprachliche Nachlässigkeiten,
die von dem Limburger Akzent herrührten,
den beide Vortragenden eifrig pflegten,
beim Lesen der Aufgaben auszumerzen.
Für Hörer der Vorlesung kein Problem,
denn diese hatten ja durch ein Semester
den beiden Niederländern zugehört
und ihnen des öftern mit einem Wort
der deutschen Zunge, das jenen nicht einfiel,
aus sprachlicher Verlegenheit geholfen.
Neben der fachgebundenen Erkenntnis
nahm ich aus jener Vorlesung ein Stück
Erfahrung mit in Limburger Akzent,
der in die deutsche Sprache übertrug,
was üblich und gewöhnlich in Nederlands.
Auf diese Weise ein Stückchen Grammatik
der Sprache unsrer Nachbarn nur erahnend,
zog ich Kulturgewinn aus dieser Sache,
und weiß, daß es jedem Studenten ratsam,
um solche Erfahrungen mal zu machen.
Am Mittwochabend ging's stets lustig zu,
wenn, sieben bis acht Mann hoch, eine Übung
in Funktionalanalysis II stattfand,
wo wir des Leiters Aufgaben besprachen,
im kleinen Kreis zunächst und dann mit ihm,
während wir überlegten, stand er oft
zwei Reihen weiter hinten, diskutierend
mit einem weitern kleinen Kreis von Leuten,
die ebenfalls über der Sache rauchten.
Wenn wir die Lösung ihm dann präsentierten,
wandte er uns sich zu, um dann vielleicht
die nächste der Aufgaben anzuschreiben.
Die Stimmung war stets unheimlich gelöst,
und so ist's nur verständlich, daß wir dann
am letzten Mittwoch dieser Übungsstunde
alle mit unserm Leiter in die Stadt
auszogen und, statt zu berechnen, was
der Abbildungsgrad einer Funktion sei,
die Zeit in einem ``Labyrinth'' verbrachten,
was ein Lokal auf Aachens Pontstraß' ist.
Dieser Termin war doch der allerschönste
von allen, die wir mit ihm zugebracht.
Ein weitres Essen, diesmal mit dem Lehrstuhl
für Mathematik, wo ich ja arbeite,
fand statt am letzten Tage des Semesters
anläßlich des Besuchs eines Professors
aus der Stadt an der Seine, wo in Frankreich
die Ecole Normale Superieure gelegen.
Dieser Herr war der Autor eines Buches,
das wir in unserer AG gelesen,
die ich im Sommer schon in hohen Tönen
als lehrreiche Veranstaltung gepriesen.
Wie schon zuletzt, hielt ich der Reden zwei,
eine am Anfang, eine gegen Ende.
Doch über deren Inhalt will ich schweigen,
nur soviel sei gesagt, es war recht spaßig.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt noch,
daß ich als Hilfskraft in diesem Semester
für Lehramtskandidaten die Vorlesung
mit Übungen versorgte, und dazu
dieselben auch erdachte mit der Hilfe
des Professors und eines Mitstudenten,
an Assistenten war nämlich ein Mangel.
Dabei mußte an TeX ich mich gewöhnen,
was mich dazu befähigt, diesen Text nun
auch mit jenem Programm in Schrift zu setzen.
Jetzt will ich noch zurück einmal zum Sommer,
um damit Informelles zu berichten.
Denn auch für den Studenten gibt es mehr noch
als nur das Studium und die Vorlesungen.
September war's, als ich und ein Kollege
in Schweden Urlaub machten für zwei Wochen.
Zunächst erholten wir uns dort in Smâland,
südlich des Vättersees gelegen.
Am Waldesrand befand sich unsre Bleibe,
doch was liegt nicht am Rande eines Waldes
in dieser Gegend Schwedens, bei Jönköping?
Gleichviel, bei uns floß zusätzlich ein Fluß
vorbei, der stromabwärts sich bald zum See
verbreiterte, vielmehr zu einer Kette
mehrerer kleiner Seen, die gleich wie Perlen
dort aufgefädelt in der Sonne blitzten,
denn Sonne hatten wir im Überfluß.
Die landschaftliche Ruhe, die, im Kanu
sitzend, wir beide auf dem See genossen,
war wesentliche Zutat der Erholung,
die wir dort, fern der Hast von großen Städten
beim eifrigen Erforschen dieser Gegend
zu Fuß, zu Rad und mit dem Boot genossen.
Zum Wandern bot der Wald riesige Weite,
die wir nicht annähernd ausschöpfen konnten.
Auf des Fahrrades Sattel sitzend, kam man
hingegen leicht bis in die nächsten Städtchen,
nach Vrigstad, Vaggeryd und Värnamo,
die neben ihrem klein-urbanen Reiz
für uns vor allem Supermärkte bargen,
aus denen wir des Tages Notdurft stillten.
Allein der Rücktransport des Eingekauften
mit Rucksack und mit Fahrrad war beschwerlich,
zumal den Weg einige Hügel prägten,
die zu befahren, Kondition verlangte,
denn leicht fiel es mit Gangschaltung selbst mir nicht,
das Rad die Steigung hochzutrampeln, während
schier zwanzig Kilo Brot, Fleisch und Gemüse
im Rucksack lagernd, auf dem Rücken taumeln.
Ein Bus fuhr eines Tags uns nach Jönköping,
in jene Stadt, die im Vergleich schon riesig,
doch malerisch gelegen an dem Ufer
des Vättern, der mir, auch wenn ich viel Wasser
in dieser Zeit gesehn, doch schier unendlich
zu sein schien, so erstreckten sich die Fluten
des Sees, daß man kein Ufer drüben sah.
Zur Krönung unsres Urlaubs fuhren
wir gen Stockholm am Ende noch für drei
Tage, die ausgefüllt mit Laufen und
mit Staunen über diese Hauptstadt waren.
Obwohl wir stets im Kernbereich geblieben
und alles, was im Umland lag, gemieden,
war'n wir von Impressionen überflutet,
die als Kontrastprogramm zu Smâland dienten.
Trotzdem muß ich zu dem Résumé kommen,
daß Stockholm, ungeachtet seiner Größe,
die typisch schwedischen Merkmale fortführt,
die ich in Smâlands Wäldern erst entdeckte:
Wohl Großstadt, aber trotzdem waldumschlungen,
die märchenhafte Mischung von Kultur,
Kurort, Weltstadt und dörflichem Charakter.
Mit dieser Schilderung plan ich zu enden
dieses Wintersemesters Erzählung.
An Dich, Leser, will ich erneut mich wenden,
wenn Neuigkeiten liefern neuen Schwung.