Elementare Zahlentheorie WS 03/04
Protokoll 1 vom 14.10.03 (ST)


[Zurück zur Protokollübersicht.]

§0  Worum geht es?

 

 

A. Fachdidaktische Fragen

 

-  Was ist Mathematik?

-  Wozu unterrichten wir Mathematik?

   (Ziele des Mathematikunterrichts)

 

 

® Mathematik ist eine Tätigkeit.

 

 

 

-  Welche Tätigkeit?

 

 

 

® Mathematisches Denken und Handeln.

® Mathematisches Denken und Handeln (Tätigkeiten) kennen lernen und erlernen.

® Mathematisches Denken:

      -  Inhaltliche bzw. semantische Ebenen:

            1. Diskursebene

            2. Diskursebene

            3. Diskursebene

            4. Diskursebene

      -  Formale bzw. symbolische bzw. syntaktische Ebene:

            5. Diskursebene bzw. Diskursebene S

 

 

 

Es besteht eine enge Beziehung zwischen den Diskursebenen 2 bis 4 und der symbolischen Diskursebene, wir wechseln ständig zwischen diesen. Insbesondere kann ein elektronischer Rechner nur auf der symbolischen Ebene arbeiten, ohne dass er hierbei die Bedeutung (die Semantik) der mathematischen Symbole versteht.

 

 

 

B. Stoff:

 

In der elementaren Zahlentheorie studieren wir Eigenschaften der Mengen N, Z und Q. Im Vordergrund stehen hierbei insbesondere die ganzen Zahlen. Dazu wollen wir zunächst der Frage nachgehen, was ganze Zahlen eigentlich sind.

 

Bei der Betrachtung der ganzen Zahlen ist es zunächst notwendig, dass wir wissen und verstehen, was natürliche Zahlen sind. Im Folgenden betrachten wir also die Menge N der natürlichen Zahlen. (Wir werden bei der nachfolgenden Konstruktion der natürlichen Zahlen nicht zu sehr ins Detail gehen, da es hierzu eine separate Vorlesung gibt.)

 

1. Diskursebene:

Auf der ersten Diskursebene betrachten wir konkrete physikalische Objekte. Ein Kind lernt an solchen bereits in der Vorschule das Zählen. Dazu lernt es die Zahlen auswendig (wie einen Reim: eins, zwei, drei, vier, ...) und geht dann, indem es den Reim aufsagt, von einem Objekt zum nächsten.

 

 ein Apfel                      eine Birne                    eine Tomate

 zwei Äpfel                   zwei Birnen                  zwei Tomaten

 drei Äpfel                    drei Birnen                   drei Tomaten

 vier Äpfel                                                                   vier Tomaten

 

Im nächsten Schritt lernt es in der Grundschule das Rechnen, ebenfalls an Hand von solchen konkreten physikalischen Objekten.


 

 ein Apfel

+

 ein Apfel

=

 ein Apfel

 fünf Apfel

 zwei Äpfel

 zwei Äpfel

 zwei Äpfel

 sechs Äpfel

 drei Äpfel

 drei Äpfel

 drei Äpfel

 sieben Äpfel

 vier Äpfel

 

 vier Äpfel

 

vier Äpfel

+

drei Äpfel

=

sieben Äpfel

 

Dazu legt es diese Objekte nebeneinander und zählt die Gesamtzahl ab.

 

2. Diskursebene:

Nun erfolgt auf der zweiten Diskursebene eine Abstraktion bzw. Idealisierung der physikalischen Ebene aus der 1. Diskursebene. An Stelle mit der Anzahl konkreter Gegenstände zu rechnen, verfährt es jetzt lediglich noch mit den Zahlen. Es erfolgt ein Übergang von den konkreten physikalischen Objekten zur Menge N der natürlichen Zahlen. Dies ist ein wichtiger Lernprozess eines Kindes, welcher erst einmal bewältigt werden muss. Denn woher weiß das Kind, dass zum Beispiel

                4 + 3 = 7

ist? Hierbei geht es in Gedanken nämlich zur 1. Diskursebene zurück: Anstelle der abstrakten Zahlen wendet es sozusagen die „Definition“ an: Die Zahl 4 steht etwa für vier Äpfel und die Zahl 3 für drei Äpfel. Dann rechnet es wie auf der 1. Diskursebene und zählt die Gesamtzahl der erhaltenen Objekte ab, in diesem Fall also sieben Äpfel. Nun ist das Ergebnis ermittelt, das Kind weiß, dass 4 + 3 die Zahl 7 ergibt.

 

Diese Abstraktion ist charakteristisch für die 2. Diskursebene. In der Geometrie sprechen wir an Stelle von Abstraktion von der Idealisierung der vorliegenden Objekte. Zwei sich an einer Stelle berührende gerade Striche auf der Tafel werden etwa zu Geraden (unendlich dünn), welche sich in einem Punkt (unendlich klein) schneiden.

 

Wie lernt der Schüler bzw. die Grundschülerin das Multiplizieren? Wie bereits von der Addition bekannt, erfolgt dies wieder durch das Abzählen, etwa ist 3 · 4 genau die Zahl welcher der Anzahl der Äpfel (1. Diskursebene) in einem Rechteck aus drei Zeilen und vier Spalten entspricht:

               

 ein Apfel

 zwei Äpfel

 drei Äpfel

 vier Äpfel

 fünf Äpfel

 sechs Äpfel

 sieben Äpfel

 acht Äpfel

 neun Äpfel

 zehn Äpfel

 elf Äpfel

 zwölf Äpfel

drei · vier Äpfel = zwölf Äpfel

 

Insgesamt lässt sich also die angeordnete algebraische Struktur der natürlichen Zahlen (N, +, ·, <) bereits auf der physikalischen Ebene begründen.

 

3. Diskursebene:

Nach einiger Zeit hat das Kind Erfahrungen gesammelt. Es kehrt dann beim Ausrechnen einfacher Terme nicht mehr zu den konkreten physikalischen Objekten zurück und fängt an zu zählen, stattdessen kann es das Ergebnis gleich angeben. Dieser Prozess des Sammelns von Erfahrungen kann auch erzwungen werden: So lernen Grundschüler etwa das kleine Ein-Mal-Eins auswendig, um langwierige Abzählungen zu vermeiden.

Auch weiß ein Kind nach einiger Zeit, dass in (N, +, ·, <) das sogenannte Distributivgesetz gilt, z.B. ist

                (3 + 4) · 5 = 3 · 5 + 4 · 5.

Das Kind pflegt also den Umgang mit den abstrahierten, idealisierten Objekten aus der 2. Diskursebene, verwendet hierbei aber zwar abstrakte, aber sich selbst bewusst gemachte Regeln. Es befindet sich auf der 3. Diskursebene. Diese Diskursebene wird typischerweise in der Sekundarstufe I und II verwendet, ansatzweise jedoch auch in der Primarstufe.

 

4. Diskursebene:

Auf der Hochschule werden die natürlichen Zahlen (einschließlich der Null) etwa wie folgt eingeführt:

                0 := |ø|,

1 := |{ø}|,

2 := |{ø, {ø}}|,

3 := |{ø, {ø}, {ø, {ø}}}|,

...

Um diesen Zugang zu wählen, muss man aber zunächst wissen, was die leere Menge ø ist bzw. was überhaupt Mengen sind. Letzen Endes führt uns dies zu der Frage nach einem Axiomensystem. Was also sind geeignete Axiome für die natürlichen Zahlen? Was wollen wir als undefinierte Grundbegriffe verwenden? Wir könnten etwa die Additions-Operation + oder die Kleiner-Relation < verwenden. Oder etwa die charakteristische Eigenschaft der natürlichen Zahlen, dass es zu jeder natürlichen Zahl einen „Nachfolger“ gibt, der wieder eine natürliche Zahl ist. (Bezeichnet etwa x’ den Nachfolger von x, so ist 4’ = 5.)

Dies führte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den sogenannten Peano-Axiomen für (N, 1, ’).

 

Nun wissen wir also (auf der jeweiligen Diskursebene), was die natürlichen Zahlen sind und wie wir mit ihnen rechnen können. Im Folgenden wollen wir also den Übergang von den natürlichen Zahlen zu den ganzen Zahlen wagen. Bekanntlich ist die Menge der ganzen Zahlen die Vereinigung aus der bekannten Menge der natürlichen Zahlen (der Menge der positiven Zahlen), der 0 und der Menge der negativen Zahlen:

                Z = N ∪ {0} N.

„Was sind aber negative Zahlen? Wozu brauchen wir negative Zahlen und was können wir uns unter diesen vorstellen?“, würde ein Schüler der Sekundarstufe I etwa fragen.

Im Folgenden steht der unterrichtende Lehrer bzw. die unterrichtende Lehrerin vor einem Problem, denn der Gang zur 1. Diskursebene ist in diesem Fall nicht ganz einfach: Er/Sie kann die negativen Zahlen etwa an einem Thermometer oder an einem Zahlenstrahl erklären. Aber was sind etwa –3 Äpfel? Auch an Hand von Schulden (also etwas Fehlendem) oder Höhenunterschieden bezüglich einem gewählten Nullpunkt bzw. einem Fahrstuhl lassen sich die negativen Zahlen durch Beispiele aus dem alltäglichen Leben erklären.

Die letzte Möglichkeit ist, dem Kind den Umgang mit den negativen Zahlen direkt an Hand der Regeln zu erklären, ohne dass es überhaupt eine Vorstellung von den negativen Zahlen bekommt: Es bekommt dann etwa gesagt, dass

                (–2) · (–6) = +12

ist, weil 2 · 6 = 12 ist und „–“ mal „–“ das Zeichen „+“ ergibt.

 

Auf formaler Ebene werden die negativen Zahlen eingeführt als Zahlen, welche Gleichungen wie

                5 + ? = 4

oder

                3 + ? = 1

lösen.

 

Aber warum gilt nun

                (–2) · (–6) = +12

wirklich? Die Tatsache ist doch die, dass wir eine algebraische Struktur

(Z, +, ·, <) > (N, +, ·, <)

suchen, in der die gewohnten Rechenregeln für N gelten. Sind also etwa (–2), (–6) Z, so gilt

                (–2) · (–6) = +12,

aus folgendem Grund:

                2 + (–2) = 0

ist die Definition von (–2); multiplizieren wir diese Gleichung nun mit (–6), so erhalten wir

                (–12) + (–2) · (–6) = 0;

addieren wir weiter (+12), so ergibt sich

                (–2) · (–6) = +12.

(Anmerkung: Wir haben hier bereits benutzt, dass 2 · (–6) = –12 ist, dies muss natürlich zuerst gezeigt werden.)

 

In der Schule zeigt man also, dass wir mit den ganzen Zahlen so rechnen können, wie wir es von den natürlichen Zahlen gewohnt sind. Die Frage nach der Existenz solcher Zahlen wird jedoch in der Schule nicht gestellt, man versucht die Existenz an Hand der oben genannten Beispielen zu erklären.

 

Wählt man wie auf der Hochschule den axiomatischen Zugang der 4. Diskursebene, so kann man die Existenz ganzer Zahlen beweisen. Per Definition sind die ganzen Zahlen solche, welche eine gewisse Sorte algebraischer Gleichungen lösen:

Zum Beispiel ist (–3) die eindeutig bestimmte Lösung der Gleichung

                8 + ? = 5

und (–1) die von

                6 + ? = 5,

aber auch die von

                5 + ? = 4.

Wir können also sagen, das natürliche Zahlenpaar (8, 5) charakterisiert die negative Zahl (–3). Wie wir weiter sehen, ist eine solche Charakterisierung einer ganzen Zahl durch zwei natürliche Zahlen nicht eindeutig, so können wir etwa (–1) durch (6, 5) oder aber durch (5, 4) darstellen. Es ist also nicht möglich, die ganzen Zahlen durch Zahlenpaare direkt zu definieren. Stattdessen müssen wir eine Äquivalenzrelation ~ definieren, so dass etwa

                (6, 5) ~ (5, 4)

ist. Weiter muss man dann zeigen, dass ~ auch eine Kongruenzrelation ist. Geht man dann über zur Faktorstruktur, so können wir die ganzen Zahlen als Äquivalenzklassen von ~ definieren.


Vor zur nächsten Stunde (16.10.03),
zurück zur Protokollübersicht.