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Mathematisches Handeln
Ulrich Schoenwaelder
Aachen, 8.7.2003
http://www.math.rwth-aachen.de/~Ulrich.Schoenwaelder
Was ist "Mathematisches Handeln"?
Mathematisches Handeln kennen zu lernen und zu erlernen ist ein wesentliches
Ziel des Mathematikunterrichts: Mathematik ist schließlich eine
Tätigkeit; Mathematik wird von Menschen gemacht. Man kann dabei
drei Tätigkeiten schlagwortartig hervorheben [und als Lehrer im
Kopf behalten]. Diese sollten m. E. auch vom Schüler bewusst
wahrgenommen und so erlernt werden. In einem handlungsorientierten Unterricht
sollen die Schüler an Hand von Problemkontexten lernen,
- zu fragen, insbesondere
- neugierig zu sein,
- Probleme zu erkennen,
- sie als Fragen zu formulieren, zu präzisieren, zu variieren;
es gibt keine Entwicklung von Mathematik ohne Fragen: im Gegenteil
beharrliches Fragen kreiert Mathematik; Problemlösen ist
Fragenstellen;
- zu planen, insbesondere
- durch heuristische Verfahren Lösungsideen zu generieren,
- die eigene Vorgehensweise zu reflektieren,
- einen Plan zu erstellen und bei der Durchführung die
Übersicht zu behalten [z. B. bei Gruppenarbeit:
"Welcher Frage gehen wir gerade nach?"];
- zu schreiben, insbesondere
- Fragen, Ideen und Ergebnisse auszuformulieren
und dadurch zu präzisieren,
- Fehler konstruktiv zu nutzen,
- die Lösungen sprachlich zunehmend genauer
(mündlich und schriftlich) zu entwickeln bis zum
mathematischen Aufsatz oder zur Facharbeit,
- aber auch auf dem Schmierzettel etwas ins Unreine
zu entwickeln.
"Tätiger Mathematikunterricht"' heißt diese Tätigkeiten explizit
machen (durch den Lehrer) und erlernen (durch den Schüler).
Wie können diese Tätigkeiten geübt werden?
Bei jedem Stoff! [Als Stoff dienen sowohl anwendungsorientierte als auch
innermathematische Problemfelder, die insgesamt ein ausgewogenes Bild von
mathematischer Tätigkeit (mathematischem Denken und mathematischem
Handeln) im Spannungsfeld zwischen Anwendung und Theorie vermitteln.]
Tätiger Unterricht heißt diese Tätigkeiten
explizit machen:
- explizit ansprechen (durch den Lehrer),
- als Lernziel akzeptieren und sich um Fortschritte bemühen
(durch den Schüler).
Zum Fragen. Die Mathematik lebt durch das Stellen von Fragen:
ohne Fragen keine Antworten! ("Nur Stoff für sich" ist tot.)
Es bewährt sich, übergeordnete Fragen und Detailfragen
ausformuliert an/aufzuschreiben. Fragen sind wertvoll, ohne sie
läuft nichts. Eine reservierte Stelle an der Tafel, mit einem
F markiert, tut gute Dienste.
Beim Problemlösen wird bekanntlich vorwärts und rückwärts
gearbeitet. Rückwärtsarbeiten bedeutet eine gegebene Fragestellung
so umzuformulieren, dass ihre Beantwortung auch eine Antwort für die
ursprüngliche Frage bewirkt. In diesem Sinne ist Problemlösen zu
einem wichtigen Teil Fragenstellen. Wenn die Fragen ausformuliert werden,
können nachher (Teil-)Antworten zu einer (vorwärts notierten)
Lösung aufgeschrieben werden.
Zum Planen. Beim Problemlösen muss man die Übersicht behalten.
Als Lehrer sind wir gewohnt, erst mehrere Lösungsideen zu sammeln und
nicht auf die erstbeste zu springen; welche Idee als erste verfolgt wird,
ist dann eine bewusste Entscheidung. Schülern liegt ein solches
Vorgehen eher fern. Eine dynamische Liste von Planungsschritten an der Tafel,
mit einem P markiert, tut gute Dienste.
Das eigene Tun zu reflektieren (was will ich, was habe ich, was kann ich benutzen, wo bin ich),
ist eine wichtige Strategie des Problemlösens und ein allgemeines
Lernziel.
Zum Schreiben. Schreiben findet auf drei Stufen des
Problemlöseprozesses statt:
- beim Ausformulieren von Fragestellungen,
- beim Experimentieren auf dem Schmierzettel, bei Diskussionen in einer
Arbeitsgruppe,
- beim Aufschreiben der Lösung oder einer Theorie.
Das Aufschreiben auf der ersten und auf der dritten Stufe muss
in vollständigen Sätzen mit korrekter Grammatik, Rechtschreibung
und Zeichensetzung erfolgen: präzise und verständlich formulierte
Fragen führen eher zur Problemlösung bzw. Theorieentwicklung,
nur lesbare Texte werden gelesen. Das Schreiben auf der zweiten Stufe
darf freier und kreativer sein; es muss aber in eine Ausformulierung des Ergebnisses münden, weil man einen Schmierzettel schon am nächsten Tag
nicht mehr entziffern kann, er gehört weggeworfen.
Das Schreiben verlangsamt den Denkprozess. Dadurch hilft es bei der
Lösung eines Problems und bei der Kontrolle seiner Richtigkeit
(es hilft,
Argumentationslücken aufzudecken). Siehe hierzu auch meine
Hinweise zur Abfassung eines mathematischen Hausaufsatzes.
Schreibanlässe:
- Schreiben Sie drei weitergehende Fragen zum Unterrichtsstoff auf.
- Schreiben Sie auf, was Sie nicht verstanden haben.
- Schreiben Sie ein Protokoll der Unterrichtsstunde (etwa für die
Kurs-Homepage).
- Kommentieren Sie Ihre Computer-Rechnungen bei der Arbeit
(Ziele, Bedeutungen, Methoden).
- Geben Sie eine Konstruktionsbeschreibung (für eine Konstruktion
mit Zirkel und Lineal).
- Schreiben Sie eine im Unterricht erarbeitete Argumentationskette (Beweis)
auf.
- Schreiben Sie einen kleinen mathematischen Hausaufsatz (zu einem
ausformulierten Thema aus dem Unterricht).
- Schreiben Sie eine Facharbeit in Mathematik.
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