Zunächst untersuchten wir in Fortsetzung der vorangegangenen
Vorlesung den Begriff des Kreises.
Als Kreis um den Mittelpunkt M mit dem Radius (M, A) hatten
wir die Menge der Punkte P definiert, die den gleichen Abstand zu
M
haben wie A:
K(M, (M, A)):= {P | (M, P) º
(M, A)}.
Zu untersuchen war nun, ob Kreise "anständig" sind, das heißt,
ob für einen beliebigen Punkt A' auf dem Kreis K(M,
(M, A')) = K(M, (M, A)) gilt.
Zwei Punkte haben den gleichen Abstand zu einem dritten Punkt, wenn
dieser auf der Mittelsenkrechten ihrer Verbindungsgeraden liegt. Für
drei Punkte A, A' und X auf einem Kreis ergibt sich
damit die folgende Konstruktion mit dem Dreieck (A, A', X).
Die obige Aussage gilt also genau dann, wenn die Mittelsenkrechten eines Dreiecks kopunktal sind (M).
Wir mußten feststellen, das wir in unseren Überlegungen die Möglichkeit der Existenz isotroper Geraden nicht beachtet hatten. Diese Tatsache motivierte die folgende Untersuchung im Rahmen der Analytischen Geometrie.
Wir betrachten die affine Ebene zu einem zweidimensionalen R-Vektorraum
mit einem nicht ausgearteten
Skalarprodukt.
Nach dem Satz von Sylvester besitzt diese Matrix eine Orthonormalform.
Diese Matrix
kann entweder positiv definit, die Normalform also gleich
sein,
oder nicht positiv definit, die Normalform also gleich
sein.
Das Skalarprodukt definiert eine Orthogonalitätsrelation auf der affinen
Ebene. Ist das Skalarprodukt positiv definit, so erhalten wir eine
Euklid-Ebene
ohne
isotrope Richtungen. Ist es nicht positiv definit, so ergibt sich eine
Minkowski-Ebene mit genau zwei
isotropen Richtungen.
Kreise veranschaulichen wir vor dem Hintergrund einer euklidischen
Zeichenebene je nach Art des Skalarproduktes unterschiedlich:
![]() |
![]() |
Euklid-Ebene | Minkowski-Ebene |
[Die Form der "Ellipse" ergibt sich aus der Tatsache, daß wir den Begriff der Abstandsgleichheit auf Koordinatenachsen noch nicht eingeführt haben. Ebenso braucht im Minkowski-Fall keine gleichseitige "Hyperbel" zu entstehen.]
[Zum Kreisbegriff siehe Stunde vom 22.01.01.]
Die Begriffe der Orthogonalität und des Kreises legten die Untersuchung des Thales- Phänomens nahe.
Satz:
Gegeben sei eine affine Ebene mit (F), (D), der Orthogonalitätsrelation
^
mit (O1) bis (O4) sowie den äquivalenten Aussagen
(H), (M) und (K). Weiterhin sei ein Kreis K
= K(M, (M, A)) gegeben. Dann sind die folgenden
Aussagen äquivalent.
(1) P Î K.
(2) PA ^ PB.
Beweis:
P liegt auf K genau dann, wenn (M, P) abstandsgleich
zu (M, A) ist.
Dies ist laut Definition genau dann der Fall, wenn M auf der
Mittelsenkrechten von (A, P) liegt.
[Den Punkt X definieren wir als den Mittelpunkt von
(A, P). Die Gerade XM) ist also orthogonal zu AP,
wenn P auf dem Kreis liegt.]
In dem Dreieck (A, B, P) ist M der Mittelpunkt der Seite (A, B) und X der Mittelpunkt der Seite (A, P). Daher ist die Gerade XM parallel zur dritten Seite PB.
Dieser Bewies scheint aufgrund seiner Einfachheit durchaus auch für den Schulunterricht geeignet.
Eine andere Vorgehensweise stellt der Didaktiker M. Wagenschein
(Wirkungszeit ca. 1960 - 85) in einem Aufsatz vor.
Sein Ziel ist das ursprüngliche Verstehen der Schüler, in
seinen Augen selbstverständliche Annahmen wie (O1) bis (O4)
sollen seiner Meinung nach nicht explizit erarbeitet werden. Er ist ein
Verfechter der heuristischen Methode, sieht den Lehrer als denjenigen
an, der seine Schüler "nur" vom Ufer aus auf seinem Weg leitet.
[Literaturhinweise:
M. Wagenschein, Entdeckung der Axiomatik, MU 20:1 (1974), S. 52 - 70;
HB: Z5577-20.
L. Führer, Pädagogik des Mathematikunterrichts: eine Einführung
in die Fachdidaktik für Sekundarstufen, Vieweg
(1997), ISBN 3-528-06911-2,
S. 224--230, insbesondere 229--230; HB:
Bb553].
Seine Vorstellung vom Beweis des Satz des Thales gliedert sich in die folgenden Schritte.
Um den Begriff der Winkelhalbierenden genauer untersuchen
zu können, führten wir zwei Definitionen ein.
Definition: Ein Tripel (S, g, h) mit S
I g
und S I h [Man beachte: g = h ist zugelassen
!] nennen wir Geradenkreuzung.
[Anmerkung: Zu einem späteren Zeitpunkt haben wir die Schreibweise
(S, {g, h}) für eine Geradenkreuzung eingeführt.]
Definition: Eine Gerade m heißt Halbierende der Geradenkreuzung (S, g, h), wenn g durch eine Spiegelung s an m auf h abgebildet wird. [Hierbei darf m keine isotrope Gerade sein.]
Aus einer Zeichnung ließ sich direkt der folgende Satz erkennen.
Satz: Existiert eine Halbierende m, so auch eine weitere
Halbierende m', die orthogonal zu m ist.